Fulminante Schlussveranstaltung der Neanderland Biennale in Langenfeld

Das Sahnehäubchen auf dem Hauptakt der Abschlussveranstaltung, dem Neanderland Slam, setzte das Duo „Mackefisch“. Wenn ich mir was wünschen dürfte, dann bitte das Künstlerpaar noch einmal bei der Neanderland Biennale 2025 zu hören und sehen, dann aber mit einem abendfüllenden Programm!

Aber zunächst zu den vier Poeten, die mit selbstverfassten, lustigen, aufwühlenden, satirischen oder auch melancholischen Texten in den Wettstreit um eine Schultertasche mit Biennale-Schriftzug, traten. Moderiert wurde die Veranstaltung erneut von Jan Schmidt, selbst ein Schwergewicht der deutschen und deutsch-sprachigen Slamer- und Comedian-Szene.  Das Line-Up konnte sich sehen lassen. Das wunderte nicht wirklich: Der gebürtige Wülfrather veranstaltet seit gut 10 Jahren in fast allen Städten des Kreises Mettmann regelmäßig Slams mit Größen dieses literarischen Formats.

Auf der Open-Air-Bühne auf dem Langenfelder Marktplatz traten am Samstagabend auf: Morgaine Prinz, Lea Weber, Kaleb Erdmann und David Gerhold.

Für die erste Runde im Wettkampf um die Poeten-Krone hatten alle vier Slamer die Aufgabe, einen Text über das Neanderland zu schreiben. Das unterscheidet diesen Poetry-Slam von anderen Wettstreiten dieses Genres. Denn üblicherweise ist der Vortragende komplett frei bei der Wahl des Themas. Wie sich das Internet und dort Google als erste „Adresse“ eingebürgert hat, um sich etwas zu nähern, über das man schreiben muss, bewiesen die Vier. Alle hatten Zitate aus ihrer Recherche auf dieser Plattform in ihre Stücke einfließen lassen, erstaunlicherweise aber gab es keine Doppler. Einen Orts-Vorteil hatten Morgaine Prinz, die durch ihren Partner, einen gebürtigen Wülfrather, zumindest diesen von den zehn Orten des Kreises nun gut kennt, da beide – sie auch ohne ihn – dort oft seine Oma (sie fehlte diesmal erstaunlicherweise bei der Moderation ihres Enkels) besuchen. In Wülfrath geboren, von dort aber schon lange weggezogen, ist David Gerhold. Er ließ den „Kreis Mettmann“ als Frau in einer Therapiestunde über ihre einzelnen Kinder zumeist lästern: Da wurde Monheim als „oller Blender“ bezeichnet, der mal ein paar Millionen verzockt beim Anlegen. Ratingen wurde zum Liebling, wenn man sich schon den Beinamen „Dummeklemmer“ gebe. Hilden sei ein Narzisst und bei Wülfrath kam neben verdrehten Augen die Frage, was man von einem Kind schon halten solle, das einen Stadtteil Schlupkothen nenne. Gerhold outete sich in der zweiten Runde mit seinem zweiten Text nicht nur als langjähriger Freund Schmidts, sondern rühmte sich auch, ihn zum Poetry-Slam gebracht zu haben! Kaleb Erdmann zeigte sich erstaunt, dass „der Vorzug des Kreises darin zu bestehen scheint, gut an die umliegenden Metropolen und das Ruhrgebiet angeschlossen zu sein.“ Bei ihm entstehe so der Eindruck, seine Einwohner trachteten danach, „schnell von dort wegzukommen“. Lea Weber wählte aufgrund desselben gegoogelten Eintrags eine ähnliche Perspektive: Sie ließ den Kreis als Mutter sprechen, deren Kinder in die Ferne schweiften, in größere Städte. Dort fänden sie statt Grün dann nur Grau. Sie stellte Nähe her und ließ die Kreis-Mutter sahen: „Ich trage 21.000 Herzen in mir. Es tut nicht weh, weil sie gehen, sondern wie sie auf mich zurückschauen.“

Hier klang schon an, wie fein Lea Weber es versteht, mit leisen Tönen mitten ins Herz und das Gefühl ihrer Zuhörer zu treffen. Sie rezitiert zudem alle Texte frei, ohne. So auch den nach der Pause, in dem sie jede Menge Sprichwörter zu einem Gespräch formte, mit dem sich ihr an Demenz erkrankter Opa durch ein Gespräch hangelt. Kaleb Erdmann brach in seinem nächsten Beitrag eine Lanze für den „Smalltalk“, der ihn rette, weil er in „Gesprächen oft nicht die richtigen Worte“ fände – die gelesenen Kostproben reizten die Zuhörer zu Lachsalven“. Morgaine Prinz sprach ihren zweiten, unter die Haut gehenden Text über ihre Kindheit auch aus dem Gedächtnis. Sie sei bestimmt von Unverständnis, von dem Gefühl, Erwartungen nicht zu genügen und von Strafe dafür. „Deshalb habe ich mit den Schreiben begonnen,“ verriet sie mir im Gespräch danach.

Ins Finale kamen schafften es nach dem Zusammenzählen der Punkte, die eine fünfköpfige – bzw. da man sich mit den Nachbarn abstimmen durfte eine vielköpfige – Jury vergeben hatte. Zwischen einem Punkt und maximal 10 gab es nach jedem Beitrag für die Vortragenden. Zudem mussten sei ein Zeitlimit einhalten und durften keine Verkleidung oder Requisiten beim Auftritt verwenden, um ihre SELBST-verfassten Texte zu präsentieren. Jan Schmidt beeindruckte nicht nur mit seinen witzigen und intelligenten Moderationen zwischen den Beiträgen, sondern auch, indem er schnell und im Kopf ausrechnete, dass Lea Weber und Kaleb Erdmann die meisten Punkte hatten, so dass sie im Finale noch einen dritten Text präsentieren durften. Weber erläuterte den Zuschauern, warum bei ihr das Heimweh über das Fernweh dominiere und ihre Heimat Hessen ihr Sehnsuchtsort sei. Erdmann ließ die Zuhörer an einem Diskurs über die Vorzüge einer Diskussionskultur teilhaben. Da im Finale alle Zuschauer per Lautstärke und Länge des Applauses bestimmen, wer als Siegerin oder Sieger nach Hause geht, mussten diese gleich mehrfach dran: Eine Entscheidung brachte auch das 10 Sekunden-Klatschen nicht, mit dem Jan Schmidt gehofft hatte, dass es statt zwei Gewinnern einen klaren Publikums-Favoriten geben würde. So teilten sich Lea Weber und Kaleb Erdmann den Gewinn wie folgt: die Tasche überließ Weber Erdmann gegen deren Inhalt: zwei Flaschen Hanf-Tee, made im Neanderland.

Ach ja, da war noch das Sahnehäubchen auf der Festtagstorte, die aus 10 beeindruckenden Text-Beiträgen bestand: Mackefisch, die Mini-Band von Lucie Mackert und Peter Fischer. Das Paar war nicht nur als Musiker, sie an Gitarre, Banjo, Koffertrommel und diversen anderen, nicht unbedingt als Instrumenten bekannten Klangkörpern, er am E-Piano sowie beide mit eindringlichen und unverwechselbaren Stimmen einfach großartig. Ihre Texte: mal witzig, mal bissig, mal romantisch, mal gesellschaftskritisch, und dabei immer auf den Punkt! Ein absoluter Genuss, bitte mehr davon im Neanderland, siehe Text-Anfang.