Hörparcours an der Wasserburg Haus Graven

„Wie Du in den Wald hineinrufst…“

Sechs Stationen waren im Wald am Wasserschloss Graven in Langenfeld aufgebaut – zuerst geht es zu einer kleinen Lichtung, auf der Stühle stehen, von da aus wenige Schritte weiter zum nächsten Stopp am Bachlauf, von dort zu unweit des Weges platzierten Paletten, weiter zu überdimensionierten Kissen auf einer kleinen Lichtung, als nächstes zu zwischen Bäumen aufgespannten Hängematten und an der letzten Station der Runde liegt frau und man auf Decken mit Blick in das Blätterdach.
Was sich wie eine besondere Inszenierung des im Moment allerorts angesagten „Waldbadens“ anhört, gerät von Station zu Station immer deutlicher zu einem Abgesang auf den Zustand des Waldes. Alle 17 Teilnehmer des ersten von fünf rund eineinhalb Stunden dauernden „interdisziplinären Hörparcours“ hatten am Ende des Rundgangs Vieles, überaus Wissenswertes über „den Wald“ erfahren. Für die Verfasserin dieses Beitrags war die Dosis dessen, was „eigentlich“ bekannt ist an Negativem, so geballt im höchsten Maße deprimierend. Der Qualität der Inszenierung tat diese persönliche Empfindung keinen Abbruch.

Station 1: Hier lauschten die Waldspazierer kurzen Einspielungen von Menschen, die berichteten, warum für sie der Wald ein Sehnsuchtsort ist: knackende Äste, raschelnde Blätter, Wind, der durch diese fährt, waren nur einige Assoziationen, die die Befragten – der Stimme nach vom Kita-Kind bis zum Greis – nannten. Gefühle wie „Glückseligkeit“ oder Philosophischem wie „Schönheit mit allen Fasern aufsaugen“ oder „die Jahreszeiten am Körper fühlen“ war aus auf der Lichtung aufgestellten Lautsprecher zu hören. Oder auch der Tipp „einfach mal für länger bewegungslos sitzen zu bleiben, dann werden sich die Tiere ganz von selbst nähern“.

Station 2:  Auf Stühlen am Ufer des Baches sitzend, oder auf einem auf einer Sandbank mittendrin, waren diese eingefangenen Wortbeiträge zu hören: Der Wald nehme Wasser auf, schütze vor Erosion, versorge Gemeinschaften von Pflanzen und Tieren. Auf die Frage, welches Tier die Befragten denn gern sein wollten, gab es ganz unterschiedliche Vorlieben: „ein Keiler, die sind total clever, sie kommen mit extremen Situationen klar“ ließ ein Mann verlauten. Ein Kind wollte ein Käfer sein, der „wird nicht so schnell getötet, weil er so klein und schnell ist, da muss ich keine Angst haben“. Der erste Mann fuhr fort „Wildschweine haben keine Angst“. Eine Frauenstimme machte weiter mit dem Wunsch, ein Eichhörnchen sein zu wollen, „die sind sportlich, haben ein perfektes Gedächtnis, wo sie ihre Nüsse vergraben und haben tolle Kletterbäume“. Eine weitere Frau wünschte sich ein Reh als Alter Ego, denn „die bekommen meist gleich zwei Kitze, das ist toll, denn wir müssen der Zerstörung der Natur etwas entgegensetzten“.  Ein offensichtlich älterer Mann sang ein Loblied auf den von ihm gewählten Schwarzstorch: „Sie wurden bis 1900 so stark bejagt, dass sie in Deutschland als ausgestorben galten, doch seit den 1970-igern sind sie zurück. Sie sind Waldbewohner, bauen ihre Nester in den Baumwipfeln alter Bäume.“

Station 3: Auf Holzpalletten sitzend, hörten die Wanderer zunächst das Geräusch einer Säge und den Ausruf: „Achtung Baum fällt“. Eine männliche Stimme rühmte Holz als „wunderschönen Werkstoff“, ein andere hob hervor, dass es „bei aller Emotion die Lebensgrundlage ganz vieler Menschen bildet“. Ein Förster zerstörte Illusionen: Die Buchen, die hier in Deutschland wüchsen, seien „ein reines Kunstprodukt“. Griffe der Mensch nicht ein, würden sie eher buschig wachsen, keine 25m langen, geraden Stamm ausbilden, damit gerade Bretter ohne Einschlüsse von Astansätzen zum Holzbau oder zur Möbelproduktion geerntet werden könnten. Eine Frauenstimme setzte schwärmend entgegen, dass in ihrem Wald aus den Bucheckern ihrer Bäume neue wüchsen: „Die Buchen haben hier schon immer gestanden“. Eine Männerstimme ließ wissen, dass 200 Jahre alte Eichen zu Industrieholz verarbeitet würde und die Reste in den Ofen kämen. Der Gegenentwurf kam von einer Firma, die so genannte „Kaskadennutzung“ bei der Holzverarbeitung anwendet: Alle Teile des gefällten Baumes würden genutzt bis zu den Spännen, die anfielen. Erneut erklang: „Achtung: Baum fällt“. Und dann beklagte ein Waldarbeiter, dass alles Holz jahrelang nach China verkauft wurde und nichts für den Hausbau im Inland bliebe. Das ändere sich nun, denn „wir brauchen Holz für Häuser, Holzrahmen und Tiny Houses.“

Station 4: Sitz-technisch ging es eine Etage tiefer: auf große Kissen, näher an den Waldboden. Und Klimawandel klang als Thema aus dem Lautsprecher. Laut eines Försters würden zukünftig Hitze-resistente Douglasien statt Fichten das Bild des Waldes bestimmen. Sturm „Kyrill“ habe man noch überstehen können, die danach durch den Wald fegende „Frederike“ habe der Wald nicht mehr. „Alles brach zusammen, im liegengebliebenen Totholz haben wir den Borkenkäfer gezüchtet.“ Die Buche habe keine Chance gegen die Trockenheit, „sie wurzelt nur bis an den Grundwasserspiegel heran, wenn dieser durch die Trockenheit sinkt, dann vertrocknet sie.“ Doch die Hoffnung, dass die neu nachwachsenden Bäume daher nun längere Wurzeln ausbilden, bestehe aber. Der Appell: „Die Natur wird es überleben, der Mensch nicht. Der Mensch darf sich die Natur nicht unterordnen, sondern er muss mit ihr leben.“ Um einen Totalschaden zu vermeiden, müssen wir Abstriche in unserer Lebensqualität in Kauf nehmen, sonst sei ein „Totalschaden des heimischen Ökosystems nicht zu vermeiden“, so der Naturschützers Hans-Dieter Wieselmann.

Station 5: In die Hängematte ging es als nächste Station. Gemütlich schwingend, der Blick in den Wald ungewöhnlich – der Inhalt der Botschaft aus den Lautsprechern hingegen noch ein wenig pessimistischer stimmendend: Es braucht Gesetze, die die Menschen erlassen, „weil die Tiere sich nicht äußern können“, die heutigen Naturschutzgesetzte seien zu schwach. Wachstum und Abbau müssen in der Forstwirtschaft im Gleichgewicht gehalten werden, nur auf Wachstum zu setzen, sei ein Irrweg. Abschließend klang Versöhnliches aus dem Lautsprecher: „Die Blüte des Leberblümchens strahlt mich an, erzeugt ein Lächeln in meinem Gesicht, das ich brauche, um mein Leben zu leben.“

Station 6: An der letzten Station des Zyklus lagen die Teilnehmenden auf Decken auf dem Waldboden, der Blick ins Blätterdach. Aus dem Lautsprecher klang: Das System Wald ist komplex verzahnt, 40 Jahre im Revier seien eine Lappalie für den Wald, so ein Förster. Doch Veränderungen durch den Menschen kommen schlagartig, die Organismen können sich nicht so schnell umstellen. „Wir werden nicht alt genug, um das (die Natur) vernünftig beurteilen zu können,“ so der Förster.
Mit sphärisch anmutender Musik werden die Teilnehmenden verabschiedet, und erheben sich. Eine von ihnen merkt an: „Nach einer Zeit hört man auf zu denken, man fühlt nur noch.“

Dieser ungewöhnliche Hörparcours hat der Verfasserin sehr gefallen, wenn er sie emotional auch sehr mitgenommen hat.